Im Waldschulheim Glücksburg gibt es einen Wasserspender in Form einer Metallsäule aus gebürstetem Edelstahl. Das ist total praktisch.Er filtert das Flensburger Leitungswasser, kühlt es und wenn man möchte, bekommt man es versprudelt. Wirklich lecker und eine gute Alternative zu hochkalorischen Süßgetränken.
Welche Kinder trinken schon liebend gern Wasser? In meinen früheren Klassen haben mich meine Schüler zunächst angeschaut, als hätte ich verlangt einen Schierlingsbecher zu trinken, wenn ich einen Krug mit Wasser auf den Tisch stellte. Lieber tranken sie zum Frühstück die blauen Limonaden in Wegwerfflaschen, erst als ich eine Verbindung zu Farbe und Geruch mit WC-Reinigern herstellte, war die Motivation etwas gebremst. Und da man in meinem Unterricht immer eine Pause für ein Glas Wasser machen durfte, tranken sie es dann immer öfter.
Ich hatte eben noch keinen Johnny. Mit Johnny lieben die Kinder Wasser. Bei allen Schülerinnen und Schülern steht auf ihrer Packliste ganz oben: 1 Getränkeflasche, mit dieser können sie sich den ganzen Tag über bei uns Wasser oder Sprudel zapfen.Und dass macht Spaß.
Leider geht da so manches nebenbei, der Überlauf der Metallingenieurskunst wird seinem Namen gerecht und es schwimmt am Fuße dann oft, so dass wir viel wischen.
Ich wollte dieses Problem lösen ohne Meckerei einer strengen Heimleitung…
Bei einer meiner ersten Klassenführungen durchs Haus hatte ich dann den Impuls dem Wasserspender einen Namen zu geben und seine Geschichte zu erzählen.
„Das ist Johnny! Er ist einer unserer stillen Mitarbeiter, die wunderbare Dienste tun. Johnny hat eine große Klappe. Wie man sieht. Er spendet das schönste, leckerste Wasser, was man sich denken kann, aber er hat ein kleines Problem und eigentlich mag er das gar nicht so gern, wenn ich es erzähle.“
– ich halte der Stahlsäule dann an beiden Seiten die imaginären Ohren zu und erzähle flüsternd weiter
„Ich erzähle es Euch trotzdem, weil nur ihr ihm helfen könnt. Er sabbert!“
Ich freu mich jede Woche auf diese Stelle der Geschichte, erst sind die Augen der Schüler riesig groß und dann Entsetzen, UääH! Sabbern! Die Gesichter der Lehrkräfte spiegeln von Irritation bis verschwörerischem Schmunzeln alles wieder.
„Ja, er sabbert, jeder hat ja so sein kleines Handicap, oder?“ -Diesen kleinen versteckten inklusiven Input kann ich mir nicht verkneifen… und meistens nicken einige Kinder sehr bewusst an dieser Stelle.-
„Ihr könnt ihm helfen, wenn ihr nämlich die Flasche genau drunter stellt, dann läuft nix daneben! Wisst ihr, Johnny möchte nämlich cool sein, weil er verknallt ist.“
-Wieder große Augen, wer kennt nicht die Phase in der 3. oder 4. Klasse mit den wunderbaren Zetteln: Willst du mit mir gehen? Ja? Nein? Vielleicht? Kreuze an!- Oft haben zarte Bande auf Klassenfahrten begonnen…-
„Er liebt Jenny!“
Ich gebe zu, ich habe sie erst ein paar Monate danach entdeckt als Pendant. Jenny, den Briefkastenschlitz genau gegenüber, durch den die Post in einen Kasten an der Wand in meinem Büro plumpst.
„Ja und sie liebt ihn auch. Sie schaut ihn den ganzen Tag an und sie hat auch eine große Klappe, also passen sie gut zusammen. Und deswegen ist es ihm so peinlich. Könnt ihr ihm helfen? „
In der Spielpädagogik nennt man dies die Animationsform der betroffenen Figur, und die Imagination wirkt wirklich emotional.
„Jenny hat immer Hunger. Am liebsten frisst sie Postkarten, sie mag auch Briefe. Aber sie ist krüsch. Magst du alles? Genau! Sie mag es nur, wenn die Adresse stimmt und richtig frankiert ist, sonst spuckt sie mir die Briefe auf den Schreibtisch.“
Was stimmt, weil ich diese Post aussortiere und den Lehrkräften zurückgebe, wär doch schade, wenn die liebevollen Karten und Briefe an die Liebsten zuhause nicht ankommen, ich meine auch ohne Poststreik.
Die Kinder nehmen den sabbernden Johnny und die krüsche Jenny sofort an. Im Laufe der Woche kann ich bei offener Bürotür viele Ansprachen und Dialoge hören.
„Hallo Jenny!“, „Danke, Johnny!“ “ Die ist verknallt in ihn!“ „Echt?, ich bin in …“
Manche Kinder trauen sich gar nicht die Postkarte einzustecken, weil sie Angst haben, dass Jenny zubeißt.
Das ist das magische am Spiel und der Imaginationskraft. Es sind ein aufgemalter Wandbriefkasten und ein Wasserautomat aus gebürstetem Edelstahl. Und doch, sie sind Jenny und Johnny, haben Gesichter. Wem ich von Angesicht zu Angesicht begegnen kann, der ist für mich lebendig.
Entwicklungspsychologisch habe ich genau den Nagel auf den Kopf getroffen, in der 3./4. Klasse ist das magische Denken noch möglich, im höheren Schulklassenalter distanzieren sich die Schüler dann schon wieder von dieser Spielerei. Das ist dann nicht cool genug. Dort erkläre ich es funktionaler und pragmatischer. Bei Erwachsenen ist es glaube ich eine Entscheidung. Spielt mein inneres Kind noch mit?
Seit einem Twitterprojekt mit Bea Beste und anderen weiß ich, dass das Phänomen Gesichter in Dingen zu sehen Pareidolie heißt und es viele Menschen gibt, die Augen dafür haben, die dingliche Welt als lebendig anzusehen, es macht das Leben spielerischer. Ein Lehrer sagte letztens zu mir: „Das ist cool, das hat was Magisches und seien wir ehrlich, wir Erwachsenen reden doch auch alle mit unserem Drucker oder unserem Auto: „Komm schon, spring an!!!!“
Letztens war die Belegung gemischt mit vier 3. Klassen und einer 6. Klasse. Damit die 6.-Klässler sich nicht wundern, wenn die 3.-Klässler mit dem Wasserspender reden, habe ich sie mit Zwinkern darüber aufgeklärt, was ich den „Kleinen“ an dieser Stelle der Hausführung erzähle und sie gebeten mitzuspielen.
Irgendwann hörte ich dann durch die Bürotür zwei Jungen aus der sechsten Klasse sehr cool bei Johnny Wasser zapfen mit den Worten: „ Ey, Johnny gib´s mir!“
Aus dem Büro kam ein Kichern und die beiden hörte man schnell die Treppe runterhopsen.
Ich liebe dieses Schullandheim.
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